Benötigen vegetarische Leistungssportler Kreatin Ergänzungspräparate?
Kreatin in der Form von Kreatin-Phosphat ist bei der Muskelkontraktion beteiligt. Dieser Stoff sorgt für die Verfügbarkeit von energetischen Substraten, die für eine intensive Anspannung zwischen den ersten drei bis zwölf Sekunden nötig sind.
Die Umwandlung von Kreatinphosphat in Kreatin liefert eine Phosphorgruppe (P), die aufgenommen wird durch Adenosindiphosphat (ADP), um Adenosintriphospat (ATP) zu bilden.
Die Umwandlung von ATP in ADP liefert die notwendige Energie für die Muskelkontraktion. So bildet eine ausreichende Menge an Kreatinphosphat in den Muskeln eine Energiereserve für die schnelle Herstellung von ATP.
Supplementation von Kreatin, so lautet die bisherige Meinung, soll zu einem längeren Aushalten von Anspannungen in hoher Intensität beitragen. Nach einer Kreatinsupplementation verfügt man über eine größere Kreatinphophatreserve und damit kann man während der Erholungsphase nach jeder Belastung wieder mehr Kreatinphosphat herstellen.
Vegetarier
Kreatin kommt vor allem in Fleisch und Fisch vor. Vegetarier erhalten demzufolge keine Kreatinzufuhr von außen durch die Nahrung. Der Körper sorgt daher für eine endogene Herstellung in der Leber aus Aminosäuren, im Magen und in den Nieren.
Einzelne Studien weisen auf mögliche niedrige Kreatinwerte bei Vegetariern hin, was einem Mangel an Kreatinzufuhr von außen zugeschrieben wird.
Vor allem Vegetarier, die kurzzeitig kraftintensive Sportarten ausüben, könnten aus der oralen Zufuhr von Kreatinpräparaten Nutzen ziehen. Die Leistungen von Vegetariern sowohl bei Ausdauer- als auch bei Kurzzeit-Sportarten deuten jedoch nicht auf eine Unterversorgung hin.
Zum Beispiel Athleten wie Dave Scott (sechsmaliger Iron Man Triathlon-Gewinner) und Martina Navratilova (Spitzentennis) und Surya Bonali (Weltklasse im Eislaufen, fünfmalige Europameisterin) leben vegetarisch.
Inhaltende Diskussion über die Vollwertigkeit einer vegetarischen Ernährung einerseits und den leistungsverbessernden Effekt einer Kreatinsupplementation andererseits hat uns zu einer experimentellen Studie angeregt, in der der Einfluß einer Kreatinsupplementation auf die Leistungskraft bei Vegetariern und Nichtvegetariern untersucht wird. Das Experiment gab außerdem Gelegenheit nachzuforschen, ob es (ohne Kreatin-Verabreichung) Unterschiede in der Leistungsfähigkeit zwischen Vegetariern und Nichtvegetariern gab.
Methode
Zehn freiwillige Vegetarier wurden gebeten, einen nichtvegetarischen Freiwilligen zu suchen mit ungefähr dem gleichen Lebensalter, vom selben Geschlecht und mit möglichst vielen Übereinstimmungen im Lebensstil und Sportverhalten (sogenannte «matching pairs«).
Die Probanten kamen drei Mal ins Laboratorium. Die erste Sitzung diente dem Kennenlernen, um die Teilnehmer mit dem Übungsprogramm vertraut zu machen. Das Übungsprogramm bestand aus fünf Übungsreihen mit 20 Wiederholungen, die durch Ruhezeiten von einer Minute unterbrochen waren.
Die Kraft während der Übungsprogramme wurde mit einem computergesteuerten isokinetischen Dynamometer gemessen (siehe Fig. 1). Das gleiche Gerät mißt die Kraft einer bestimmten Muskelgruppe bei einer konstanten Ausführungsgeschwindigkeit (isokinetische Kraftmessung). Im Experiment wurde die Kraft des vierköpfigen Oberschenkelmuskels (m. Quadriceps) gemessen. Dazu sitzt der Probant auf dem Apparat, die Beine 90° angewinkelt. Der Widerstand befindet sich auf Höhe der Knöchel und der Probant wird gebeten, das Bein kräftig zu strecken. Die durchschnittlich aufgewendete Kraft während einer Streckung wird gemessen.
Nach dem ersten Besuch erhalten die Versuchspersonen ihre Supplementation unter Doppelblindversuch-Bedingungen. Dadurch wollte man sicherstellen, dass weder die betreuenden Untersucher noch die Versuchspersonen wußten, welches Produkt vor einer bestimmten Testserie zugeführt wurde. Die Codierung der Produkte wurde durch einen Außenstehenden durchgeführt und der Code wurde erst nach der Analyse der Ergebnisse bekannt gegeben.
Während fünf Tagen vor der Testserie mußten die Testpersonen die Supplemente (20 g Kreatin/Tag oder 20 g Placebo/Tag) einnehmen. Nach der ersten Testserie wurde eine Ausscheidungsperiode von 6 Wochen eingeschoben, um einen eventuellen Kreatinvorrat (durch die Supplementation) im Körper abzubauen (»Wash-Out« Periode). Nach dieser Wash-Out Periode bekommen die Freiwilligen erneut codierte Supplemente während fünf Tagen, danach kamen sie wieder ins Laboratorium für eine dritte Testserie.
Während jedem Besuch im Laboratorium wird auch das Körpergewicht bestimmt.
Resultate
Die durchschnittliche Kraft, die während der fünf Anspannungsreihen (jede besteht aus 20 Wiederholungen) gemessen wurde, nach Kreatin-Supplementierung oder Placebos, für Vegetarier und Nichtvegetarier, wird in der folgenden Grafik wiedergegeben.
Grafik unter:
http://www.vegetarierbund.de/nv/nv_1...er_Kreatin.htm
Mittlere Kraftentwicklung von Testserie 1 bis Testserie 5 (T1 - T5), berechnet für Vegetarier und Nicht-Vegetarier nach Kreatin- und Placebo-Behandlung. Vegetarier nach Kreatin-Supplementation, Vegetarier nach Placebo-Einnahme, Nicht-Vegetarier nach Kreatin-Supplementation, Nicht-Vegetarier nach Placebo-Einnahme
Statistisch gesehen wurden keine Unterschiede gefunden in der Kraftentfaltung, beim Vergleich von Kreatinsupplementen, sowohl für Vegetarier als auch für Nichtvegetarier. Der Vergleich von Vegetariern mit Nichtvegetariern nach Placebo-Behandlung weist ebenfalls keine Unterschiede auf.
Kommentar
Die Ergebnisse deuten nicht auf eine Leistungsverbesserung nach der Einnahme von 20 g Kreatin pro Tag hin, weder für Vegetarier noch für Nichtvegetarier. Wenn auch eine Tendenz bemerkbar ist für eine größere Kraftentfaltung nach Kreatin-Supplementation, sind die Unterschiede zur Placebo-Cruppe statistisch nicht signifikant. Diese Resultate stehen teilweise im Gegensatz zu Ergebnissen anderer Untersucher, die nach einer Kreatin-Supplementation schon Unterschiede fanden.
Eine nachvollziehbare Erklärung für diese gegensätzlichen Befunde liegt nicht auf der Hand. Die Resultate dieser Untersuchung liegen aber völlig auf der Linie der Testprotokolle, die sich eng an Feldbedingungen wie Radfahren auf einem Radergometer oder Schwimmen anlehnen.
Über die leistungsverbessernden Effekte von Kreatinsupplementation gibt es stets eine bestimmte Diskussion. Die Vorteile einer eventuellen Leistungsverbesserung durch eine tägliche Einnahme einer hohen Dosis Kreatin müssen gegen die möglichen Auswirkungen auf den Stoffwechsel abgewogen werden. Bis heute wird von keinen auffälligen Nebenwirkungen berichtet. Es gibt jedoch noch keine Unterlagen über die Auswirkungen einer Langzeit-Einnahme von Kreatin. Schließlich muß noch festgehalten werden, dass verschiedene Studien nach der Einnahme von Kreatin eine Gewichtszunahme feststellten. Wo im Sport mit Gewichtsklassen gearbeitet wird oder wo das Körpergewicht die Leistung beeinflussen kann, sollte diesem Nebeneffekt gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Kein Unterschied zwischen den Gruppen Zwischen Vegetariern und Nichtvegetariern konnten keine Unterschiede gefunden werden in der Kraftentfaltung, was in dieser Gruppe inzwischen beweist, dass selbst bei intensiver Anspannung bei den Vegetariern kein Mangel an Kreatin auftritt. Diese Auffassung wird durch Resultate von anderen Studien bestätigt. Die Untersuchung beweist auch, dass die Muskelzellen der vegetarischen Freiwilligen ungefähr dieselbe Menge an Kreatin enthalten als die von Nichtvegetariern. Diese Feststellungen erhärten die Hypothese, dass die körpereigene Synthese von Kreatin durch einen »Feed back« Mechanismus (Rückkoppelungseffekt) geregelt wird. Und so, wie im Fall von verschiedenen »Feed back« Mechanismen, soll ein Mangel an exogenem Kreatin die endogene Herstellung stimulieren und die Ausscheidung von Kreatinin (ein Zersetzungsprodukt des Kreatinstoffwechsels) reduzieren können.
Zugleich unterstellt man, dass die endogene Kreatinproduktion durch die Einnahme von Kreatinpräparaten nicht behindert wird, dass aber die Kreatinsynthese vor allem durch die Menge des Kreatins in der Muskelzelle geregelt wird.
Verschiedene Autoren deuten ebenfalls an, dass eine vegetarische Ernährung eine ausreichende Menge an Nährstoffen zur Verfügung stellt, und dass für Personen, die kein Fleisch und keinen Fisch essen, kein Bedarf an Zusatzstoffen besteht. Nur eine streng vegetarische oder vegane Ernährung (eine Ernährung ohne tierische Produkte, ohne Milchprodukte oder Eier) kann möglicherweise unter einem Mangel an bestimmten Nährstoffen leiden.
Aus der vorliegenden begrenzten Studie und aus den Angaben aus der Literatur kann man schließen, dass eine (lakto)-vegetarische Ernährung keine | spezifischen Mängel aufweist für die Zufuhr von Energie, die nötig ist für die Ausführung von kurz-zeitigen Kraftanstrengungen mit hoher Intensität. Diese Resultate müssen aber noch untermauert werden mit anderen Untersuchungstechniken wie NMR-Untersuchung und einer Biopsie-Studie.
Literaturangaben auf Anfrage bei den Autoren.
NB: Der Originalartikel ist in extenso erschienen in der Zeitschrift »Vegetarian Nutrition: an international Journal«(1997), vol 1 (nr 3): 100-15, Adresse: Peter Clarys und Marcel Hebbelinck (Freie Universität Brüssel) Laboratorium für Biometrie und biologische Chemie, Vrije Universiteit Brüssel, Pleinlaan 2, B-1050 Brüssel, Belgien
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